Professor Dr. Benno Willke* hielt vor Schülern des Albertus-Magnus-Gymnasiums einen Vortrag über den direkten Nachweis von Gravitationswellen. Er war mit seinem Team vom Laser-Zentrum Hannover maßgeblich am Bau und an der Entwicklung der Messgeräte zum direkten Nachweis der Gravitationswellen beteiligt. Am 14.9.2015 wurden diese Wellen erstmals in der Geschichte der Menschheit nachgewiesen.

Apl. Prof. Dr. Benno Willke (expert on: experimental aspects of GW detectors, aLIGO lasers):
"Diese Entdeckung übersteigt die menschliche Vorstellungskraft: Vor mehr als einer Milliarde Jahren sind zwei schwarze Löcher miteinander verschmolzen und haben dabei dreimal die Masse unserer Sonne in Gravitationswellenstrahlung umgewandelt. Diese Strahlung hat im September letzten Jahres auf der Erde den Abstand von zwei 40 Kilogramm schweren Spiegeln um weniger als ein Tausendstel eines Atomkerndurchmessers verändert und wir waren in der Lage, dies zu messen! Unvorstellbar! Es ist ein erhebendes Gefühl, dass wir am Albert-Einstein-Institut und am Laserzentrum Hannover die Laser entwickelt und gebaut haben, die diese Entdeckung ermöglicht haben."

Gravitationswellen 3
Foto: privat

Bis dahin war es allerdings ein weiter Weg, der etwa vor 100 Jahren mit der allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein begann. Er sagte als Erster die Existenz von Gravitationswellen voraus. Nach Einstein staucht und dehnt die Beschleunigung von sehr großen Massen, z.B. Sonnen, Neutronenstern oder Schwarzer Löcher, die Raumzeit. Diese Erschütterungen breiten sich durch das gesamte Universum als Gravitationswellen aus. 1974 konnten Gravitationswellen erstmals indirekt über den Gewichtsverlust zweier verschmelzender Neutronensterne nachgewiesen werden (Nobelpreis 1993). Ein Teil der Masse der Neutronensterne wandelt sich gemäß Einsteins Gleichung E=mc² in Energie um, die dann als Gravitationswelle abgestrahlt wird. Eine Gravitationswelle selbst konnte bisher aber nicht nachgewiesen werden, da die verursachten Verzerrungen der Raumzeit zu klein waren. Es fehlte schlicht ein Messgerät mit der nötigen Präzision. Bei dem Messgerät handelt es sich um ein Interferometer, das schon 1887 – also zu Einsteins Zeiten – erfunden worden war. Damals konnte man "nur" Längenänderungen von 1 Nanometer messen. Das von Professor Willke mit entwickelte Interferometer namens LIGO misst 100 Milliarden mal genauer. Das entspricht ungefähr dem Unterschied der Präzision einer Sonnenuhr im Vergleich zu einer Atomuhr. Bis diese Präzision erreicht war, mussten laut Professor Willke über 1000 Wissenschaftler in 133 Instituten auf der ganzen Welt verteilt jahrelang hart arbeiten. Um eine Gravitationswelle nachzuweisen, benötigt man aber nicht nur ein solches Hochleistungsmessgerät, sondern mindestens drei, die unabhängig voneinander arbeiten. Nur so kann der Ursprungsort der Welle ermittelt und zufällige Störsignale zuverlässig erkannt werden. Das Messsignal aller drei Detektoren (damals USA Westküste, Ostküste und Deutschland) wird ständig von Großrechnern auf Signale hin überprüft. Aus 250.000 verschiedenen Simulationsrechnungen kennt man die Muster, die die Gravitationswellen in den Detektoren erzeugen würden. Findet man eines dieser Muster im Messsignal aller Detektoren zur gleichen Zeit, so hat man sicher eine Gravitationswelle „aufgefangen“. An der Form des Musters kann man ähnlich wie bei einem Fingerabdruck die Art der beteiligten Sterne und ihre Entfernung zur Erde erkennen. So geschehen am 14.9.2015. An diesem Tag, besser 1,3 Milliarden Jahre vor dem 14.9.2015, umkreisten sich zwei schwere Schwarze Löcher und wurden durch ihre gegenseitige gigantische Anziehung – genauer ihre enorme Raumkrümmung – so stark aufeinander zu beschleunigt, dass sie eine Geschwindigkeit von über 50% der Lichtgeschwindigkeit erreichten. Die durch diese unvorstellbar starke Beschleunigung zweier so großen Massen ausgelöste Gravitationswelle wurde in den LIGO-Interferometern als Verzerrung bzw. Längenänderung von 1/1000 Atomkerndurchmesser auf 1200m Strecke aufgefangen. Wenn also ein Ereignis, bei dem die Masse von drei Sonnen vollständig in Gravitationswellen umgewandelt wird, nur eine so winzige Längenänderung auf der Erde bewirkt, dann ist es nicht verwunderlich, wenn man über 100 Jahre gebraucht hat, um diese Wellen direkt nachzuweisen. Einstein selbst vermutete, man würde die Gravitationswellen nie nachweisen können. Der Nachweis dieser Wellen ist ein Riesenerfolg und ist trotzdem nur der Anfang in diesem Forschungsbereich. Professor Willke sprach von der Möglichkeit der Gravitationswellen-Astronomie. Man möchte die Detektoren so weit verbessern, dass zweierlei Beobachtungen möglich sind.

A) Aus weiteren Messungen hat man gelernt, dass Gravitationswellen großen kosmischen Ereignissen vorausgehen. Ähnlich wie quietschende Reifen einer Kollision von Fahrzeugen vorausgehen, erzeugen Neutronensterne und Schwarze Löcher Gravitationswellen, bevor sie ineinander stürzen. Im Jahr 2017 konnte man 1,7 Sekunden vor dem Verschmelzen von zwei Neutronensternen eine Gravitationswelle auffangen. Daraufhin richtete man alle verfügbaren Licht-, Röntgen- und Radioteleskope auf den Ursprung des Signals und konnte die nachfolgende Verschmelzung der Sterne in noch nie da gewesener Genauigkeit und Vollständigkeit verfolgen. Werden die Detektoren für Gravitationswellen genauer, so lässt sich die Vorwarnzeit vor solchen Ereignissen auf Wochen oder Monate verlängern. Das wäre in etwa so, als könnte man auf der Erde einen Sechser im Lotto Wochen im Voraus vorhersagen und in aller Ruhe seinen Lottoschein ausfüllen.

B) Beobachtbare elektromagnetische Strahlung (Licht, Röntgen, Mikrowelle …) gibt es erst seit der Zeit 380.000 Jahre nach dem Urknall. Gravitationswellen gibt es aber seit dem Urknall. Diese könnte man als Hintergrund-Strahlung auch heute noch auffangen und so den Anfang des Universums deutlich besser verstehen, als man das heute kann.

Die Planungen und Visionen der Wissenschaftler gehen dahin, dass man diese Interferometer nicht mehr auf der Erde installiert, sondern frei schwebend im Weltraum. Man könnte so Detektoren im Abstand von Millionen von Kilometern positionieren, was die Messgenauigkeit mehr als vertausendfacht und Störungen minimiert. Der erste direkte Nachweis von Gravitationswellen ist damit ein wichtiger Meilenstein in der Erforschung des Universums, aber mit Sicherheit kein Endpunkt.

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Foto: privat

Die gesamte Schulfamilie des AMG, besonders die Physik-Fachschaft dankt Professor Dr. Willke herzlichst für die beiden spannenden, hochaktuellen Vorträge von der Speerspitze der Forschung.

* Projektleiter der Advanced LIGO Laserentwicklung, am Albert-Einstein-Institut, Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik und Institut für Gravitationsphysik, Leibniz-Universität Hannover.

Link zur Rede des Physik-Nobelpreisträgers Dr. Rainer Weiss am 10.12.2017 in Stockholm:
https://www.nobelprize.org/nobel_prizes/physics/laureates/2017/weiss-speech.html

Florian Maier